Geschichte Wie wir Geld nicht lernen

Mein älterer Sohn hatte vor einigen Jahren im Mathematikunterricht das

Thema : Münzen und Scheine.

Zweite Klasse.

 

An einem Nachmittag komme ich nach Hause und meine Frau sagt zu mir:

  • “Schatz, hier steht was im Hausaufgabenheft.”
  • ‘Was denn?’
  • ‘Da steht, du sollst Frau Patrick anrufen.’
  • Na ja, eigentlich stand da sehr höflich: ‘Würden Sie sich bitte bei mir
    melden?
  • ‘ Meine Frau hatte das nur übersetzt. Also rufe ich Frau Patrick an.
  • ‘Hallo Frau Patrick, Philipp Müller hier.
  • Sie haben ins Hausaufgabenheft geschrieben, dass wir uns bei Ihnen melden sollen.’
  • ‘Ach’, sagt sie, ‘das ist aber toll.’
  • Jetzt muss man dazusagen, sie könnte fast meine Tochter sein. Sie ist sehr
    engagiert und ich finde es großartig, dass sie sich so kümmert.
  • ‘Was ist denn das Problem?’
  • ‘Nun’, sagt sie, ‘wir haben heute über Geld gesprochen. Dazu hatten wir
    Münzen zum Ausdrücken und Scheine, zur zweiten Klasse passend.
  • Also alle Münzen und die Fünfer, Zehner und Zwanziger. Und dann meldet sich Ihr
    Sohn und sagt vor der ganzen Klasse: ›Mir fehlen die Fünfziger, die
    Hunderter, die Zweihunderter, die Fünfhunderter.‹’
  • ‘Okay’, sage ich, und ich ahne, was jetzt kommen könnte. Gut, dass
    gerade ich das Telefonat führe.
  • ‘Ich habe daraufhin zu ihm gesagt’, fährt Frau Patrick fort, ‘›Das ist noch
    nichts für dich.‹’
  • Ich muss grinsen. Ich weiß, dass mein Sohn genauso vorlaut ist wie ich.
  • ‘Und dann hat er gesagt …’
  • Frau Patrick will weiterreden, aber ich falle ihr ins Wort.
  • ‘Ich weiß, was er gesagt hat.’
  • Ruhe. Gefühlt eine Minute.
  • ‘Er hat gesagt, er mag den Fünfhunderter so gerne, stimmt’s?’, sage ich
    fröhlich.
  • Frau Patricks Stimme klingt jetzt nicht mehr so ruhig, eher etwas schrill
    und empört, aber gleichzeitig auch besorgt.
  • ‘Warum mag er den so gerne? Er hat gesagt: ›Der Fünfhunderter ist mein
  • Lieblingsschein und der Zweihunderter ist der zweitbeste‹!’
  • Ich überlege kurz: Anfang der zweiten Klasse, noch drei Jahre
  • Matheunterricht bei Frau Patrick. Philipp, wie bringst du die Botschaft so
    rüber, dass sie pädagogisch wertvoll ist?
  • Ich sage also:’Frau Patrick, Sie wissen ja, dass ich beruflich mit Geld zu tun habe, ichbin auch Lehrer, nur für Erwachsene, und zwar Lehrer für Geld. Deshalbreden wir manchmal auch zu Hause über Geld, und einmal wollte mein Sohnalle Geldscheine sehen. Dann haben wir uns gemeinsam an den Küchentischgesetzt und ich habe alle Bank-noten, die es gibt, feinsäuberlich ausgebreitet:einen Fünfhunderter, einen Zweihunderter, einen Hunderter. Und er hatgesagt: ›Papa, der Fünfhunderter ist der Hammer!‹’
  • Jetzt ist wieder Ruhe am Telefon, aber ich höre eine gewisse Nervosität inihrer Atmung. Vielleicht fühlt sie sich veralbert? Ich weiß also, ich muss dasDing irgendwie noch geraderücken.
  • ‘Frau Patrick, Sie können natürlich nichts dafür, denn Sie sind imLehrplan gefangen. Aber ich halte es für einen pädagogisch völlig falschenWeg, einem Kind beizubringen, dass der Fünfziger, der Hunderter, derZweihunderter und der Fünfhunderter nichts für Kinder sind, wenn man ihmdas Geldsystem erklären will. Denn Kinder speichern die Informationwertneutral ab und fangen anschließend an, Beweise zu suchen, dass das, wassie gerade gelernt haben, richtig ist. Dabei sollten Kinder von klein auf dasGegenteil lernen: dass Geld, auch großes Geld, etwas für sie ist. Damit siesich schon jetzt Gedanken darüber machen, was sie tun können, um zu solcheinem Fünfhunderter zu kommen. Und ein paar Jahre später, vielleicht inzehn Jahren, tun sie selbstverständlich etwas dafür, um dieses Geld zuverdienen, das dann sehr wohl etwas für sie ist und das sie dringendbrauchen, um gut zu leben, eine gute Ausbildung zu machen und etwasSinnvolles arbeiten zu können.’

 

Das Telefonat geht dann etwas ratlos zu Ende. Frau Patrick sagt nichtmehr viel und wir verabschieden uns freundlich voneinander. Ich hoffe, ichhabe rübergebracht, was ich vermitteln wollte, ohne überheblich zu wirken.Vielleicht ist sie nachdenklich geworden.

Ich bin auch nachdenklich.Wer bin ich jetzt in ihren Augen? Bin ich für sie ein reicher Protzer, der soim Geld schwimmt, dass er achtlos mit den Fünfhundertern zum Spielen fürKinder um sich werfen kann und diese geld-verachtende Haltung auch nochseinem Sohn beibringt?

Oder bin ich in ihren Augen ein arroganterGeldschnösel, der einer Lehrerin, die ihr Gehalt mit vorlauten Schülern hartverdienen muss, erklären will, wie Matheunterricht aussehen sollte? Oderaber einer dieser gewitzten Geldhaie, die mit schlauen oder sogar verbotenenMethoden zu viel Geld gekommen sind?

Solche Gedanken wären keinWunder, denn Protzer, Schnösel und Geldhaie sind in unserer Gesellschaftweit verbreitete negative Zuschreibungen für Menschen mit viel Geld. Dasträgt natürlich nicht dazu bei, dass man zu dieser Gruppe gehören will. Unddiese Zuschreibungen sind falsch, aber dazu später mehr.Jetzt möchte ich erst einmal verdeutlichen, was es bedeutet – für jedenEinzelnen und für uns als Gesellschaft –, dass Geld auf diese Art in derSchule vermittelt wird.